Madonnas Lehrer tanzt für Regensburgs Tango-Fans

 

Pedro Monteleone brachte dem Weltstar in Buenos Aires in 20 Tagen die Tangos für den Musical-Film "EVITA" bei

 

HARALD RAAB, Mittelbayerische Zeitung 1.3.99

 

REGENSBURG. Am Freitag abend in der Regensburger TANGO-Werkstatt: Die raschen, weitschwingenden Schritte, die Drehung, der schnelle Sprung der makellos schönen Tanguera in den Armen dieses Hombre de Salon. Ist das nicht der weltberühmte Tango der Madonna im Musical-Film Alan Parkers „EVITA"?

Ja, er ist's tatsächlich. Und auch dieser stattliche Salon-Caballero, den kennt man doch aus zwei Tanzszenen des internationalen EVITA-Fimereignisses. Der 61jährige Petro Monteleone, einer der typischen Bilderbuch-Portenos, wie sich die Bewohner von Buenos Aires nennen, reist durch die Welt, als Botschafter des argentinischen Exportartikels Tango. Er nennt's eine Liebe, die Knochenarbeit ist.

Was er zeigt, ist nur die Liebe zu diesem Tanz, elegant, mit perfektem Raffinenment. Die aufregend schöne junge Frau, die sich an ihn schmiegt, ihre linke Hand liegt zärtlich erotisch auf dem Nacken ihres Partners, ist natürlich nicht Madonna. Mit nach Regensburg gekommen ist Marcela, die 22jährige Tochter Pedro Monteleones. Rot und aufregend eng das Tanzkleid, der seitliche Schlitz fast bis Hüfthöhe: Marcela ist seit fünf Jahren Partnerin ihres Vaters bei den öffentlichen Auftritten.

Unter 300 ausgewählt

Vater und Tochter spielen das alte, stets aufregend junge und so erotische Spiel des Tangos von Hingabe und Begehren, von Mann und Frau, Erfüllung im Augenblick und Verzicht.

Die zum Ereignis angereisten Tango-Fans sind restlos begeistert. Und wenn die Senorita ihren Caballero in der Milonga einmal nach ihren Bewegungslaunen tanzen läßt, dann kennt der Beifallssturm keine Grenzen. Das Tango-Fieber klettert auf ungeahnte Grade: Hace mucho calor - es ist sehr heiß.

Szenenwechsel: Frühjahr 1996. Argentinien ist in seiner nationalen Ehre verletzt. Das US-Sex-Symbol Madonna soll Santa Evita verkörpern. Evita Duarte de Peron, die Königin aller argentinischen Herzen und nicht nur der Descamisados, der Arbeiter mit dem weit offenen Hemdkragen und der aufgekrempelten Ärmel. Präsident Menem sprach von einer „schrecklichen Schande",einer „verleumderischen Interpretation".

Pedro Monteleone, der mit seinem Vater, einem Arbeiter, als halbjähriges Baby 1937 aus Italien nach Buenos Aires kam, sah es als eine Chance. Als Alan Parker, der Regisseur des Musicals, mit dem Choreographen Vincent Paterson zum Casting in Buenos Aires erschien, meldete sich Monteleone unter 300 Tangueros, Was er, der seit dem 15 Lebensjahr Tango tanzt, zu bieten hat, überzeugte.

Pedro Monteleone wurde nicht nur als Tänzer für die Tangoszenen im Film engagiert, er wurde auch ausgewählt, Madonna Tangotanzen beizubringen. Und das war ein hartes Stück Arbeit. Vier bis fünf Stunden täglich und das 20 Tage lang im hermetisch abgeschirmten Nobelhotel Haiath in Buenos Aires. Überall Bodyguards. Hollywood fürchtete einen Anschlag auf seinen Star.

Monteleone: „Man konnte praktisch mit ihr nichts Privates reden. Es wurde nur gearbeitet. Sie konnte eigentlich nicht Tango und hat das, was andere in Jahren nicht lernen, in 20 Tagen geschafft. Diese Frau hat eine solche Professionalität, die ich bewundert habe. Sie hat so viel Gefühl für Bewegung."

Sie, die Italoamerikanerin, und er der Italoargentinier, haben es dann doch geschafft, die Bodyguards zu überlisten. Pedro Monteleone erinnert sich mit stolzem Schmunzeln: »Ich wollte am Schluß unserer gemeinsamen Arbeit ein Erinnerungsfoto mit ihr. Das bekommt man ja nicht so ohne weiteres. Ich habe sie aber selbst gefragt, sie lachte und erklärte, sie sei nur zu einem Foto bereit, wenn ich sie heimlich und unerkannt in ein typisches Tanzlokal in der Altstadt von Buenos Aires mitnehme. Ich solle mir etwas einfallen lassen."

Madonna entführt

Der Tanguero ließ sich etwas einfallen. Er mobilisierte seine Familie und in ihrem Schutz ging es in den „Club Almagro", una „Milonga", die gerade der heiße Tip der argentinischen Hauptstadt war. Es wurde gegessen, getanzt, gefeiert. Und niemand hat die ausgelassene junge Frau im Kreis der Gesellschaft als die „Schänderin des Andenkens von Evita" erkannt. Pedro Monteleone versichert, daß Madonna keineswegs das strahlende Bild Von dem eleganten Engel der Armen, der Revolutionärin, von Eva Duarte de Peron, verfälscht habe. Im Gegenteil.

Der Tänzer will zwar nicht über Politik sprechen, aber er hat seine Erinnerungen. Gerade als er 15 Jahre alt war, 1952, ist Evita Peron mit 33 Jahren ihrem Krebsleiden erlegen. Die Trauer des Landes war echt. Pedro Monteleone hat die Nacht vor dem Requiem bei der Totenwache in der Kathedrale verbracht. „Sie hat viel für die Kunst getan", sagt er zur Begründung. Der EVITA-Film ist ein weltweites Denkmal für diese Milongita geworden, dem Mädchen vom Land, das eine Traumkarriere gemacht hat. Daß sie dabei mit den Waffen einer Frau gekämpft, die Männer und ihre Fixierung auf die Spiegelung im ewig Weiblichen benutzt hat: Das ist eine der ganz typischen Tangostorys, die in unzähligen Chansons dieses Genres besungen wird.

Auch für Pedro Monteleone, dem Arbeiterkind, war der Tango der Schlüssel zum Leben eines selbstbewußten Salon-Caballeros, aber auch Lebenselixier mit dem Schuß Vergessen und Nostalgie. Die brauchte man in den überfüllten Arbeiterquartieren von La Boca in den Einwanderungsjahren. Gelernt hat er bei Tanzlegenden wie „Petroleo" - Carlos Esterez -, bei „Finito" - Ramon Rivera - und bei Antonio Todaro. Von seinem Tanzstil heute sagt er: „Ich bin auf keine der Richtungen festgelegt. Ich habe mir aus allen meinen eigenen Stil gebildet."

Auf die Frage, wie lange er noch tanzen will, sagt er lebensklug lächelnd: „Man weiß immer, wann man mit dem Tango begonnen hat, weiß aber nie, wann man damit aufhört." Und erläßt keinen Zweifel daran, daß es erst beim Ende seiner Existenz sein wird: „Tango ist mein Leben."

Was immer man vom morbiden Reiz des Tangos erzählt und klug analysiert bis hinein ins Psychoanalytische: Für Pedro Monteleone ist's kein sexistischer Tanz. Der Tango ist ihm voll heiterer Melancholie. Er ist menschlich, er ist so sinnlich. Freilich nur der Tango Argentino, nicht der pomadige europäische Salonschieber. Das Original mit seinem Vierachteltakt, seiner synkopischen Struktur und seinen körpernahen komplizierten Figuren ist Lebenskultur.

Warum zieht der Tango Argentino auch in Deutschland die Menschen wie die Motten das Licht an? Monteleone, der schon in Australien, Neuseeland und in Ländern Europas Tango unterrichtet hat, bringt es für die Deutschen auf den einfachen Nenner: „Sie haben alles und sehnen sich nach einem echten Gefühl. Sie wollen sich als Menschen spüren."

Regensburgs TANGO-Werkstatt ist neben dem Zentrum Berlin einer der ersten Plätze für die deutsche Tango-Begeisterung. Tango trifft seit den 80er Jahren einen Nerv im gesellschaftlichen Zeitgefühl. Und immer waren es, von den Anfängen am Rio de la Plata bis heute in Europa, Umbruchzeiten mit Identitätsverlust und Existenzängsten, in denen der Tango Konjunktur hat. Und natürlich kann man erotische Umgangsformen, die im Coolness-Gehabe verlorengegangen sind, wieder einüben. „Tango ist Sehnsucht nach jahrelangem Frieren in gefühlskalter Umgebung", schreibt Raimund Allebrand in einer psycho-analytischen Tango-Studie.