Ein Vivat dem Leben und dem Tod

Von Harald Raab, Mittelbayerische Zeitung

06. November 2001

REGENSBURG. Tango ist mehr als Tanz, mehr als eine Mode. Tango Argentino ist Kunst- und Kulturform, eine Lebens-, Überlebensphilosophie, Selbst- und Paartherapie inklusive.

Regensburgs TANGO-Werkstatt lud zum Salon de Tango - und alle kamen, die irgendwann das Tangofieber gepackt hat. Verkleidet viele, die Frauen als Milonguitas: enge fließende Kleider mit viel Beinfreiheit, auf hohen Absätzen und mit einem Hauch von Verruchtheit. Die Männer als Tangueros, am besten schwarzes Hemd, gestreifte Hose, und mit dem entschlossenen Blick, einmal wieder ein Macho zu sein. Die Sehnsucht nach den alten Geschlechterrollen tanzt mit - begehren und begehrt werden.

Tier mit vier Beinen

Doch das ist die Show, das Spiel als Tier mit den vier Beinen. Keine Angst, es wird nicht das Tier mit den zwei Rücken daraus. Ob Erotik oder Autoerotik der Motor der Tangofaszination ist, darüber streiten sich die Fachleute. Es geht auf jeden Fall um Körpergefühl, dem eigenen und dem des Partners, der Partnerin. Tango ist in und über den Tanz hinaus das Schaffen von Gleichzeitigkeitsgefühlen, so etwas wie Erleben von Glück, etwas sehr, sehr seltenes also.

Dass der Tango längst nicht nur das in Europa gepflegte Klischee von „Mi noche triste" von Carlos Gardel ist, die große Melancholie irn Jammertal der jeweiligen Realitäten, führten Giselle Anne und Gustavo Naveira aus Buenos Aires mit ihren Showtänzen vor.

Gustavo. Naveira gehört zur kleinen Welt-Elite der Tangotänzer und -lehrer. In dem Film Tango-Lesson von Sally Potter wirkte er mit.

Tango ist halt auch ein wunderbares Mittel, um Bewegungs- und Lebensfreude auszudrücken. Obwohl auf den Tangobühnen der Welt zu Hause, tanzt Gustavo einen unprätentiösen, nicht aufgemotzten Stil. Alle Bewegungen kommen aus der Hüfte heraus. Artistisch, artifiziell ist seine dynamische, höchst komplizierte Beinarbeit.

Partnerin Giselle ist durchaus nicht die bloß geführte Tänzerin, die nur auf die Impulse ihres Meisters reagiert. Sehr selbstbewusst fügt sie ihren eigenen Bewegungscharakter in das furiose Schritt- und Figurengefüge ein. Das kritisch-sachverständige Publikum applaudierte enthusiastisch. Nicht mindere Begeisterungsstürme erntete das Sexteto Canyengue(Amsterdam), das zur Weltspitze zählt, auf allen Kontinenten schon gespielt und mit Tango- und Tanzgrößen wie Pablo Veron, Antonio Todaro und Pepito Avellaneda, Hans van Manen und dem Dutch National Ballet zusammengearbeitet hat.

Die Niederländer stellen unter Beweis, dass Tango als Kunst-Musik international ist. und doch ist das Orchester mit der klassischen Besetzung, zwei Bandoneons, zwei Geigen, Klavier und Kontrabass, tief verwurzelt im Respekt vor der Tango-Musik der Guardia Vieja und der Guardia Nueva vom Rio de la Plata. Sie spielen Kompositionen von Osvaldo Pugliese, Roberto D. Alvares oder Horacio Salgan und natürlich Astor Piazzolla und tun, was Kunst muss, aus Altem Neues entwickeln. Carel Kraayenhof, der Orchesterleiter, hat als Bandoneonist bei Piazzolla in New York und bei Pugliese in Buenos Aires gespielt, eine Auszeichnung für den Niederländer. Er hat mit Leo Vervelde am Rotterdamer Konservatorium die Sektion für Tango Argentino gegründet.

Mit rhythmischer Virtuosität spielen die Musiker ihre Arrangements mit komplexen Harmonien in hervorragendem Zusammenspiel der verschiedenen Klangebenen, Tempo und Dynamik variierend. So sind sie in der Lage, vitale Kraft und unendliche Zärtlichkeit ausdrücken zu können. Ein großes Tango-Erlebnis. Süß und bitter ist der Tango und sein Lebensgefühl. Ein Vivat dem Leben, das den Tod mit einschließt: „Viva la vida y la muerte".