Kultur in Regensburg
Der Siegeszug des Tango: Von den
Slums in die besten Salons der Welt
Arne Birkenstock und Helena Rüegg
stellten ihr Buch in Regensburg vor
VON UNSEREM MITARBEITER GÜNTER
BONACK, REGENSBURG.
“Fast scheint es, die eine Hälfte
der Stadt reibe sich an der anderen", schrieb eine französische
Tageszeitung in den 20er Jahren zur in Paris herrschenden Tango-Euphorie. Als
Musik europäischer Auswanderer in den Slums Buenes Aires entstanden, eroberte
der Tango im Lauf des 20. Jahrhunderts die Welt.
Die faszinierende Geschichte dieser
Musik und des Tanzes erzählen Helena Rüegg und Arne Birkenstock in dem bei dtv
im November letzten Jahres erschienenen und bereits in zweiter Auflage
vorliegenden “Tango"-Buch mit Begleit-CD. Am Freitag stellten die Autoren
ihr Werk auf Einladung der TANGO-Werkstatt und der Buchhandlung Dombrowsky dem
Regensburger Publikum vor. Es wurde eine hervorragend präsentierte
literarisch-musikalische Reise durch die Geschichte des Tango. Tango-Fans und
mehr literarisch Interessierte hatten den Salon der TANGO-Werkstatt voll
besetzt.
Zur Einführung listeten Helena
Rüegg, ausgebildete Bandoneon-Spielerin am Rotterdamer Konservatorium, und Arne
Birkenstock, freier Journalist beim WDR und passionierter Akkordeonspieler, zu
einer mit Drive gespielten Tango-Melodie satirisch alle Klischees auf, die den
Mythos des Tango umgeben — und ernteten befreiende Lacher.
Auf den Wogen einer Akkordeonmelodie
ging es zurück zu den Wurzeln des Tango an den Rio de la Plata in Argentinien.
Arne Birkenstock berichtete von den Anfängen: an die sechs Millionen
europäische Einwanderer waren zwischen 1880 und 1930 dort gestrandet - geflohen
vor der wirtschaftlichen Not ihrer Heimat und angelockt durch die Versprechungen
der damaligen argentinischen Regierung. Die Hoffnungen der Zuwanderer zerstoben
in Windeseile in den Armutsvierteln und Slums der Vorstädte von Buenos Aires,
dem Arrabal. Über diese explosive Mischung aus sozialem Elend und dem Kampf ums
Überleben schrieb der politisch engagierte Tango-Poet und Komponist der 40er
Jahre, Enrique Santos Discepulo: “Eine Welt, wo der Mülleimer eine Trophäe war
und die Ratte ein Haustier."
Aus dieser Welt schöpfte der Tango
seine Texte, die Musik nährte sich aus der afrikanisch-brasilianischen Rhythmik
des Candombe, vermischte sich mit dem aus Spanien kommenden Tango andaluz und
verleibte sich noch die Tanzformen des Habanera ein.
Von der argentinischen Oberschicht
als vulgär verachtet trat der Tango um die Jahrhundertwende seine Reise nach
Europa an und fand seine erste Heimat in Paris. Nachdem 1913 der französische
Staatspräsident Poincare einen Ball mit einem Tango eröffnet hatte, erlag ganz
Europa in Windeseile dem Tangofieber.
Tango auf vier Stockwerken
Im Berlin der 20er Jahre strömten an
die 2000 Menschen in den Tanzpalast “Femina", um auf vier Stockwerken
Tango zu tanzen. Die Tangomanie schwappte bis nach Japan. Tango war chic und
mit den europäischen Weihen weltweit salonfähig geworden, erzählte Helena Rüegg.
Dermaßen kulturell geadelt durfte er auch in die Salons der argentinischen
Oberschicht zurückkehren.
Zum Tango gehört die Inszenierung:
Auf unterhaltsamste Art entlockten die beiden Autoren dem Tango seine
Geschichten und Anekdoten. Birkenstock gab den oft im Reportagenstil
geschriebenen Texten einen leicht ironischen Unterton. Bühnenpartnerin Helena
Rüegg übernahm den emotional tragenden Part. Führung und Begleitung wechselten
in der Musik — Rüegg's kraftvolles Bandoneonspiel warf die Melodiebögen wie
Netze in den Raum, auf denen sich die Stimme ihres literarischen Begleiters
beim Rezitieren der Tango-Texte ausstrecken konnte. Die meist im Dialog
vorgetragenen Textpassagen wurden durch Musikstücke illustriert, die dem Buch
als CD beigelegt sind.
Von Gardel bis Piazzola
Die literarische Reise des Abends
führte über die Blütezeit des Tango mit Carlos Gardel zu dem großen Erneuerer
und Begründer des Tango Nuevo, Astor Piazzola. Das von Helena Rüegg gespielte
Stück zeigte die Wurzeln Piazzolas, aber auch die neuen Wege, die der Tango zur
Klassik und zum Jazz beschritten hat.
Nach so vielen Geschichten war es
Zeit für etwas Praxis: Anfangs zur Musik aus der Konserve, dann zum Spiel von
Helena Rüegg, -unterstützt von dem nuancierten, nie aufdringlichen Gitarristen
Quique Sinesis aus Buenos Aires, eroberten die Zuhörer das Tanzparkett. Die
Tanzpaare, eng umschlungen oder kühl distanziert, erfanden den Zauber des Tango
einmal neu.