Balanceakt zwischen Hingabe und Dominanz

Tango-Lesson: Premiere für Regensburg in der TANGO-Werkstatt

• „Tango-Lesson" im Turmtheater - ein großer Film in einem kleinen Kino. Genau das ist die Antwort auf das Multiplex-Spektakel, das nun auch Regensburg bevorsteht. Film als individuelles optisch-atmosphärisches Erlebnis, nicht nur etwas für die Tangokult-Gemeinde.

VON  HARALD  RAAB, Die Woche 13.11.97

Start von „Tango-Lesson" am letzten Freitag aber nicht im Turmtheater-Kino, sondern in der TANGO-Werkstatt, Puricellistr. 40, stilgerecht vor Fan-Publikum, natürlich auch mit der Möglichkeit,  sich  danach  animiert auszutanzen.

„Tango-Lesson" wird wieder einmal mehr ansteckend wirken und der Fangemeinde Zulauf bringen, nicht nur wegen derSchönheit und der Lust am Tanz. Tango ist auch die ungestillte Sehnsucht nach Einheit in Bewegung und Gefühl, ist die ambivalente Lust an Führung und geführtwerden, Dominanz und Hingabe.

Wem das jedoch die einzige Botschaft des Filmes Sally Potters ist, der hat nicht nur eine ganz kleine Szene in dem Film ausgeblendet. Da sagt ein Taxifahrer zur Engländerin, die in einen Tanzsalon eines Barrios von Buenos Aires fährt: Für den Tango Argentino muß man etwas erlebt, erlitten haben.

Sally Potter hat ihrer eigenen Tango-Leidenschaft diesen Film gewidmet. Die Tänzerin und Filmemacherin hat nicht nur das Drehbuch geschrieben und Regie geführt, sie spielt und tanzt auch die differenzierte Rolle. Ihr Partner ist der Bilderbuch Tänzer Pablo Veron, ein Tango-Genie, ein Bild von einem Latino-Mann.

„Tango-Lesson" ist aber nicht nur ein Tango-Kultfilm, der notwendigerweise in all den mit diesem artifiziell-animalischen Tanz verbundenen Klischees opulent schwelgt. Sally Potter hat vor allem ein differenziertes Psychogramm einer Beziehung gezeichnet, den nie ganz gelingenden Balance-Akt zwischen Hingabebedürfhis und Bindungsangst. Sally und Pablo schließen einen Pakt: Er lehrt sie tanzen und sie macht ihn zum Akteur in ihrem Film. Einmal beherrscht er sie, dann dominiert sie ihn. Die alte Frage: Wieviel Individualität, Egozentrik verträgt Gemeinschaft?

„Tango Lesson" hat aber auch eine dritte, nicht minder interessante Dimension. Dieses Werk ist handwerklich bestes europäisches Erzähl- und Personenkino. Sally Potter findet mit ihrem Kameramann Robby Müller unaufdringlich starke Bilder, in einem Wechsel von Tempo und Ruhe,

von Nähe und intelligent choreographierten Tableaus. Schwarz/ Weiß auf Farbmaterial mit kleinen eingestreuten Farbsequenzen für die filmische Gedankenwelt Sallys, pointiert die Atmosphäre der Geschichte.

So oder so; „Tango Lesson" ist im besten Sinn ein Kult-Film, ein Werk europäischer Kino-Kultur. Er hat jetzt schon eine historische Dimension.