Einheit von Musik und Bewegung
Das „Orquesta
Beba Pugliese" aus Buenos Aires gastierte bei der TANGO-Werkstatt
VON UNSEREM MlTABEITER JUAN MARTIN KOCH, REGENSBURG.
„Musikalisch gesprochen dürfte der Tango unbedeutend
sein", stellt Jörge Luis Borges in seinem Essay zur Geschichte des Tango
lapidar fest. War der Musikkritiker also beim Auftritt des „Orquesta Beba
Pugliese" in der Tango-Werkstatt (dem einzigen im Bundesgebiet) fehl am
Platz? Kamen die Tango-Fans von weit her, um diese großen Musiker zu hören oder
um zu ihren Klängen zu tanzen?
Man ahnt es, die Fragen sind falsch gestellt. Es
geht im Tango eben nicht um ein Entweder-Oder, sondern um die unbedingte
Einheit von Musik und Bewegung. Sie kann sich wie selbstverständlich im eigenen
Tanz, aber auch bei der Bewunderung anderer Paare, ja sogar beim bloßen Zuhören
mit geschlossenen Augen einstellen. Der Tanz birgt die Musik, die Musik birgt
den Tanz in sich.
Bewegung und plötzlicher Stillstand, Beschleunigung
und sanftes Abbremsen: das alles spiegelt sich auch im Gesang des jungen Dario
Vitale wider. Schnelles Parlando und schmerzliches Aufblühen seiner herrlichen
Stimme künden von den größeren und kleineren Katastrophen, die das Leben
bereithält.
Dass sich die Menschen in diesen Geschichten, die
der Tango erzählt, wiedererkennen, das ist für Beba Pugliese der entscheidende
Punkt. Im Gespräch betont sie, die Tangobegeisterung in Europa sei für sie
nicht eine aktuelle, kurzlebige Mode. Vielmehr sieht sie darin die Fortsetzung
einer historisch gewachsenen, schon in den multikulturellen Wurzeln des Tango
enthaltenen Tendenz: „Er ist zu einer internationalen Kulturform
geworden".
Mag ihr der berühmte Name - ihr Vater Osvaldo
Pugliese war eine der Schlüsselfiguren in der Entwicklung des Tango - auch den
nötigen Autoritätsvorschuss gegeben haben: Sie habe sich alles selbst
erarbeiten und erkämpfen müssen; das Klavierspielen, das Arrangieren für die
verschiedensten Besetzungen.
Nur so konnte es ihr gelingen, sich auf diesem
Niveau in einer Männerdomäne zu behaupten, wie sie die Leitung eines solchen
Septetts in Buenos Aires nach wie vor darstellt. Ihre Arrangements für Klavier,
Bass, Bandoneons, Violinen und Viola stellen das Ensemblespiel in den
Vordergrund, einer Traditionslinie der für den Tango „goldenen" vierziger
Jahre folgend.
Was dabei vor allem elektrisiert, ist die
rhythmische Urkraft, die in den scharf abgerissenen Betonungen
herausgeschleudert und gleichzeitig wieder aufgestaut wird. Dieses
Markenzeichen des von der Tochter eigenständig weiterentwickelten
Pugliese-Stils hatte der Vater mit „Yum-ba, Yum-ba" in Worte gekleidet.
In seinen Klassikern „La Yumba" oder
„Recuerdos" wurde es nun auf packende Weise wieder in Klang rückübersetzt.
Neben den gesungenen Nummern gehörten sie zu den Glanzpunkten eines wunderbaren
Abends.Und natürlich hat das Borges-Zitat zum Tango eine Fortsetzung: „Seine
einzige Bedeutung ist die, welche wir ihm verleihen... Wir diskutieren ihn,
aber er umschliesst wie alles Wahre ein Geheimnis."
Mittelbayerische
Zeitung 17.12.99